Psychosoziale Notfallversorgung

Einsatzkräfte im Katastrophenschutz leiden oft unter psychischen Belastungen. Hier erfahren Sie, wie diesen Menschen geholfen wird.

Koordinierung der psychosozialen Notfallversorgung bei besonders belastenden Einsätzen und Katastrophen

Ausweis: Psychosoziale Notfallversorgung, Erich Mustermann, BRK
© Staatliche Feuerwehrschule Geretsried

Einsatzkräfte im Brand- und Katastrophenschutz sind in vielen Einsätzen besonderen Stressbelastungen ausgesetzt. Meist werden Feuerwehren, Rettungsdienste und andere Helfer in Situationen herbeigeholt, die den Normalbürger überfordern. Von den herbeieilenden Helfern wird erwartet, dass sie diese Situationen in den Griff bekommen und mühelos bewältigen. Häufig werden die Einsatzkräfte dabei mit sehr viel menschlichem Leid konfrontiert. In der Regel können erfahrene Einsatzkräfte diesen Stress verarbeiten. In besonderen Einsatzlagen, wie beispielsweise bei Katastropheneinsätzen, dem Tod von Kameraden oder bei anderen extrem belastenden Ereignissen kann die Stressbewältigung durch präventive Ausbildungsmaßnahmen zusätzlich unterstützt werden.

Das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 07.01.2019 „Psychosoziale Notfallversorgung bei besonders belastenden Ereignissen und Katastrophen in Bayern“ ersetzt das bisherige Schreiben vom 24.01.2008.

Neben den bestehenden Komponenten der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) auf Landesebene mit der Landeszentralstelle PSNV und der Koordinierungsgruppe im Akutfall wird im neuen Innenminsteriumsschreiben die Struktur auf Landkreisebene mit der Arbeitsgemeinschaft PSNV, den Funktionen Leiter PSNV sowie Fachberater PSNV etabliert und standardisiert. Dabei sollen die erforderlichen Maßnahmen der psychosozialen Betreuung bei extremen und belastenden Ereignissen so vorbereitet werden, dass im Bedarfsfall eine rasche und koordinierte Hilfe sichergestellt werden kann.

Fachbereich Psychosoziale Betreuung von Einsatzkräften an der Staatlichen Feuerwehrschule Geretsried

Das Bayerische Innenministerium hat im Januar 2003 an der Staatlichen Feuerwehrschule Geretsried der Fachbereich Psychosoziale Betreuung von Einsatzkräften (PSBE) eingerichtet und mit einem hauptamtlichen Sozialpädagogen besetzt. Der Fachbereich soll in der allgemeinen Führungsausbildung ein Bewusstsein für mögliche Stressfolgestörungen schaffen. Daneben soll er ein Konzept konzipieren und umsetzen, wie Helfer bei Belastungsbewältigung (sog. Peer) ausgebildet werden sollen. Peers sind Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr mit einer speziellen Ausbildung im Bereich Psychosoziale Notfallversorgung, die als Ansprechpartner für ihre Kameraden in der Feuerwehr fungieren sollen. Zudem ist die Staatliche Feuerwehrschule Geretsried mit der Aufgabe betraut worden, die Katastrophenschutzbehörden in Fragen der Psychosozialen Betreuung zu beraten. Der Auftrag umfasst auch, die psychosoziale Betreuung von Einsatzkräften vor Ort in großen Schadenslagen und bei Katastrophen zu koordinieren. Die Staatliche Feuerwehrschule Geretsried arbeitet eng mit der Fakultät für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München zusammen, die sich bereits seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema Belastung und seelische Gesundheit bei Einsatzkräften der Freiwilligen Feuerwehr beschäftigt.

Forschungsprojekt Prävention im Einsatzwesen der Ludwigs-Maximilians-Universität München

Auf wesentliches Betreiben und aufgrund der Vorarbeiten des Freistaats Bayern wurde zwischen Januar 2003 und Juli 2006 an der Ludwigs-Maximilians-Universität München das Forschungsprojekt Prävention im Einsatzwesen durchgeführt, das vom Bundesministerium des Innern beauftrag wurde. In diesem Rahmen fanden mehrere Untersuchungen zur Belastung von Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehren statt. Es ging um die allgemeine Belastung, aber auch um die seelische Belastung nach besonders schweren Einsätzen. Ergänzend wurde betrachtet, wie sich verschiedene Präventionsmaßnahmen auf die Belastung der Einsatzkräfte auswirken.

Bei der Prävention unterscheidet man primäre, sekundäre und tertiäre Prävention. Im Studienbereich Primäre Prävention wurde eine Schulung konzipiert und evaluiert, die in die Truppmann- und Führungskräfteausbildung eingebunden werden sollte. Im Studienbereich Sekundäre Prävention wurden die seelischen Folgen von verschieden Nachsorgemaßnahmen und feuerwehrinternem Zusammensein ohne Außenstehende miteinander verglichen. Dies wurde einer weiteren Gruppe gegenüber gestellt, die keine Nachsorge in Anspruch nahm. Kriterium für die Aufnahme einer Feuerwehr in den Studienbereich Sekundäre Prävention war, dass ein Einsatz vom Kommandanten als seelisch belastend eingestuft wurde.

Die Ergebnisse der bisherigen Forschungsprojekte weisen darauf hin, dass Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr durch ihre Einsätze einer deutlich höheren Belastung ausgesetzt sind als die Allgemeinbevölkerung. Präventive Maßnahmen sollten frühzeitig und langfristig einsetzen, um die Entstehung von belastungsbedingten Erkrankungen, wie der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), aber auch eine hohe allgemeine Belastung zu verhindern. Als Resultat der Studie wird die Umsetzung eines Gesamtkonzeptes empfohlen, das sowohl Maßnahmen der primären als auch der sekundären Prävention mit einbezieht und eine deutschlandweite Flächendeckung möglich macht.

Umsetzung in Bayern: Fachbereich für Menschenführung und Psychosoziale Notfallversorgung an der Staatlichen Feuerwehrschule in Geretsried

Im Januar 2008 beauftragte das Bayerische Innenministerium die Staatliche Feuerwehrschule Geretsried mit der Umsetzung dieser Empfehlungen. Dabei sollte der reibungslose und koordinierte Einsatz psychosozialer Notfallmaßnahmen sichergestellt sein. Es musste das notwendige (ehrenamtliche) Personal ausgebildet, organisatorische Vorkehrungen getroffen und die nötigen Strukturen geschaffen werden. Der ursprüngliche Auftrag war noch auf Einsatzkräfte begrenzt. Jetzt ist der gesamte Bereich der psychosozialen Notfallversorgung zu betrachten, also auch die von einer großen Schadenslage betroffenen Menschen. Alle Maßnahmen der psychosozialen Betreuung, die bei extremen und belastenden Ereignissen erforderlich sind, sollten so vorbereitet werden, dass im Bedarfsfall eine rasche und koordinierte Aufgabenbewältigung sichergestellt werden kann.

Zu diesem Zweck wurde im Jahr 2008 der ursprüngliche Fachbereich Psychosoziale Betreuung von Einsatzkräften zum Fachbereich für Fachbereich für Menschenführung und Psychosoziale Norfallversorgung (PSNV) mit zwei hauptamtlichen Mitarbeitern erweitert. Auf Grundlage der innenministeriellen Vorgaben begleitet der Fachbereich die Entwicklung der Psychosozialen Notfallversorgung in Bayern. Fundament ist eine Kontinuierliche Zentralstelle für allgemeine Fragen der psychosozialen Notfallversorgung, die an der Staatlichen Feuerwehrschule Geretsried als Landeszentralstelle Psychosoziale Notfallversorgung in Bayern eingerichtet wird.

Wesentliche Aufgaben sind die

  • Erfassung der PSNV-Systeme mit Erreichbarkeiten,
  • Vernetzung der PSNV-Kräfte über eine gemeinsame Plattform,
  • Beratung von Bedarfsträgern/Vermittlung von Hilfsangeboten,
  • Beratung der Einsatzleitung vor Ort unterhalb der Koordinierungsgruppe,
  • Beratung beim Aufbau von Hilfsangeboten für Einsatzkräfte und
  • Vermittlung von weiterführenden Hilfsangeboten über die Akutphase hinaus.

Die Staatliche Feuerwehrschule richtet zudem eine Koordinierungsgruppe im Akutfall ein, die sich auch aus Vertretern der Angebotsträger der Psychosozialen Notfallversorgung in Bayern zusammensetzt. Sie soll die Landeszentralstelle Psychosoziale Notfallversorgung in besonderen Schadenlagen und Katastrophen unterstützen.

Die wichtigsten Aufgaben umfassen die

  • Lagefeststellung zur psychosozialen Betreuung in der Akutphase,
  • Beratung der Einsatzleitung (Fachberater PSNV),
  • Organisation und Leitung des Abschnittes PSNV (im Auftrag der Einsatzleitung),
  • Alarmierung von PSNV-Kräften aus Bayern (im Auftrag der Einsatzleitung),
  • Koordinierung der eingesetzten Kräfte,
  • Vorbereitung/Übergabe an die Regelversorgung im Gesundheitswesen und
  • Länderübergreifende Nachforderung beim bayerischen Innenministerium.

Ein Zentralstellenrat als Beirat, in dem alle beteiligten Organisationen vertreten sind, begleitet und fördert die Arbeit der Landeszentralstelle Psychosoziale Notfallversorgung. Die Feuerwehrschule Geretsried kooperiert von Beginn an eng mit anderen Betreuungseinrichtungen in Bayern und artverwandten Diensten anderer Organisationen und Behörden. Mitte 2003 gründete sich auf Eigeninitiative der beteiligten Organisationen und Einrichtungen ein Landesarbeitskreis Psychosoziale Notfallversorgung. Dieser soll zukünftig im Zentralstellenrat integriert sein, der damit die Beteiligung aller Organisationen und Einrichtungen sicherstellt, für eine sinnvolle Nutzung vorhandener Ressourcen Sorge trägt und die fachliche Arbeit abstimmt.